Ärzteschaft im Fakten-Check: Nimmt der Konsum von Cannabis durch die Legalisierung wirklich zu?
Letzte Woche warnten mehrere Ärzteverbände, insbesondere die der Kinder- und Jugendärzte, die Bundesregierung vor der Durchsetzung ihrer Pläne: Man solle die Verfügbarkeit von Cannabis nicht erleichtern, weil dadurch der Konsum unter Jugendliche zunehme. Das zeigten Daten aus den USA. Und der Konsum sei für Jugendliche besonders schädlich.
Beispielsweise zeigen mehrere Studien, dass der Cannabiskonsum von Jugendlichen in Nordamerika nicht zunahm. Auch war die Feststellung, der Schwarzmarkt sei durch die Legalisierung nicht vollständig beseitigt, ziemlich geistlos: Schließlich gab es für Jugendliche nach wie vor keine legale Möglichkeit, an die Substanz zu kommen.
Die Altersgrenze und die Gehirnentwicklung
Der Gesetzgeber hält Personen ab 18 für volljährig. Die Bundesregierung will für Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren die Vergabe von schwächerem Cannabis vorschreiben. (Meiner Meinung nach keine schlechte Idee.) In vorherigen alarmistischen Stellungnahmen wiesen Kinder- und Jugendärzte aber darauf hin, die Gehirnentwicklung sei erst mit 25 Jahren abgeschlossen. In dem ärztlichen Panik-Brief vom 24. Juli heißt es jetzt auf einmal: “Da Entwicklungs- und Reifungsprozesse und insbesondere auch die Hirnreifung bis über die Mitte der dritten Lebensdekade hinausreichen, sind Abgaberegulierungen mit Altersbegrenzungen bei 21 oder gar 18 Jahren aus entwicklungs-(neuro-)biologischer Sicht nicht plausibel.”
Konsum von Jugendlichen in den USA
Darauf sieht man, dass der Cannabiskonsum von Jugendlichen seit 2012 (grüner Balken) nicht stieg. Im Gegenteil nahm er eher leicht ab. Da allerdings hier noch nicht die Coronapandemie abgebildet ist, sollte man die Ergebnisse zurückhaltend interpretieren. Sie stehen aber im Einklang mit den Studien, auf die ich vorher verwies.
Trends im Substanzkonsum
Bei den Erwachsenen im Alter von 18 bis 34 sieht man zwar eine Zunahme. Dieser Trend setzt aber schon in den 1990er Jahren und damit lange vor den Legalisierungsinitiativen ein. Um 1980 wurde übrigens sehr viel mehr konsumiert. Das zeigt, dass auch Substanzkonsum Trends und Moden kennt – mit komplexen psychosozialen Ursachen.
Ein anderer Ansatz
Es geht mir nicht darum, Substanzkonsum zu verharmlosen. Man sollte aber endlich verstehen, dass Menschen aus bestimmten Gründen psychoaktive Mittel konsumieren. Daran muss man denken, wenn man Verbote fordert: Was sollen die Menschen dann sonst tun? Mir geht es vor allem darum, a) die Drogenpolitik vernünftiger zu gestalten und b) den Schaden zu minimieren.
Mit Verboten gelingt das gerade nicht: Dann gibt es nämlich keine Qualitätskontrollen, keinen Schutz vor Verunreinigungen, kein Drug-Checking und werden bei Risikokonsum die Hilfsdienste später – manchmal vielleicht zu spät – eingeschaltet. Im Ergebnis erinnern die Initiativen dieser Ärztinnen und Ärzte an die Dämonisierung vor 100 Jahren. Auch diese roch vor allem nach Moral sowie Stigmatisierung und basierte auf Falschmeldungen über Substanzen und Abhängigkeit. Haben wir als Gesellschaft so wenig dazugelernt?
Der Konsum von Jugendlichen scheint in der aktuellen Diskussion gänzlich tabuisiert zu werden. Ob mit oder ohne Verbot: Cannabis ist in dieser Altersgruppe in den USA verbreiteter als in Deutschland. Auch das ist ein Hinweis auf soziale Faktoren, die das Verhalten der Menschen beeinflussen. Das spricht dafür, sie eher zu einem verantwortungsvollen Substanzkonsum hinzuführen: mit ehrlicher Aufklärung, Präventionsmaßnahmen und, wo es nicht anders geht, zielgerichteter Suchttherapie. Abstrakte Maßnahmen helfen da nur beschränkt.
Ein anderes Denken muss her. Mein alternativer Ansatz habe ich in meinem gerade erschienenen Buch über psychische Gesundheit und Substanzkonsum mit zahlreichen wissenschaftlichen Quellen unterbaut. Dank der Förderung der Niederländischen Forschungsgemeinschaft steht es gratis zum Download bereit.
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Titelgrafik: Rex Medlen auf Pixabay.
Nico ist ein freiberuflicher Autor mit Schwerpunkt auf der Cannabisindustrie. Er interessiert sich für die Auswirkungen von Cannabis auf die Wirtschaft, die Gesundheit und das Konsumverhalten. Nico möchte alle Standpunkte in objektiven Nachrichtenartikeln darstellen. Er glaubt, dass dies der beste Weg ist, um eine informierte Öffentlichkeit zu schaffen.