Gateway Hypothese: Ist Cannabis wirklich eine Einstiegsdroge?
Die Gateway Hypothese: Cannabis als Einstiegsdroge.
Ist Cannabis wirklich eine Einstiegsdroge, oder wird das Problem überschätzt? Mehr über die Gateway Hypothese. (Bildnachweis: istockphoto, guruXOOX)

Schon bei der Drogenprävention bzw. -aufklärung wird Kindern und Heranwachsenden erklärt, welche Drogen es gibt und wie gefährlich sie sind. Und das ist gut so! Die wirklich harten Drogen wie Heroin, Kokain, Speed, Chrystal Meth und andere sind hochgefährlich und kein Spaß! Leider werden im Rahmen der Präventionsarbeit keinerlei Unterschiede gemacht: Gras und Haschisch werden mit den o.g. wirklich gefährlichen Substanzen gleichgestellt. Alles Drogen, alles verboten, alles macht sofort abhängig.

die Gateway Hypothese

Wenn es um Cannabis geht hört man leider nach wie vor ganz oft die Geschichte der “gefährlichen Einstiegsdroge”, quasi unumgänglicher Wegbereiter für den sicheren Herointod. Doch was ist dran an diesem Klischee, das nach wie vor in den Köpfen herum schwirrt? Wir haben versucht, der Sache sachlich und statistisch fundiert auf den Grund zu gehen.

Cannabis als Einstiegsdroge – Wahrheit oder Mythos?

Zunächst müssen wir uns mit der eigentlichen Definition beschäftigen. Was bedeutet “Einstiegsdroge” denn nun eigentlich. Bei der Suche nach diesem Schlagwort bei Google bekommen wir direkt eine sogenannte “Answerbox” mit der Definition laut Wikipedia:

Die Bezeichnung Einstiegsdroge (eng. gateway theory) ist ein zusammenfassendes Stichwort der medizinischen Theorie, nach der der Konsum einer Droge mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für den Konsum weiterer anderer Drogen gekoppelt ist. Nach einer Teilkomponente der Theorie ist die zeitliche Abfolge des Erstkonsums verschiedener Drogen zum Teil ursächlich bedingt aufgrund von Prägung im Gehirn durch den Konsum der früheren Droge. Nach einer anderen Teilkomponente der Theorie ist die zeitliche Abfolge auch erklärbar durch persönliche und soziale Faktoren, wie etwa genetische Veranlagung und Verkehrs- und Konsumformen der Drogen.

Die Annahme, Cannabis sei eine Einstiegsdroge basiert auf Beobachtungen, die besagen, dass der Erstkonsum von Drogen jeglicher Art möglicherweise einem gewissen Trend bzw. einer bestimmten Reihenfolge folgt. Es handelt sich also um eine Wahrscheinlichkeit, der eine kausale Reihenfolge zu Grunde liegen kann – aber eben nicht muss.

In einer nationalen Studie haben Wissenschaftler über 6.000 Cannabiskonsumenten befragt und herausgefunden, dass insgesamt 44,7% von ihnen später auch andere Drogen probiert haben. So weit so gut, Problem bei diesen Daten: es wäre durchaus denkbar, dass die Befragten diese anderen Betäubungsmittel auch ohne den vorherigen Konsum von Marihuana irgendwann probiert hätten. Nur lässt sich das statistisch nicht nachweisen. Wer tiefer in die Studie eintauchen möchte, kann dies hier tun: https://www.ijdp.org/article/S0955-3959(14)00204-7/fulltext

Außerdem hängt Drogenkonsum bzw. -affinität auch von vielen anderen Merkmalen ab, denn Herkunft, Alter, Bildungsgrad und viele weitere soziale Faktoren haben signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit.

Andere Studien haben gezeigt, dass Cannabiskonsum bei Menschen, die zuvor keinen Alkohol konsumiert hatten, zu ebendiesem geführt haben. Zählt man Alkohol nun ebenfalls als Droge, wäre Cannabis quasi der Einstieg gewesen. Aber auch hier spielt der Faktor Zeit wieder eine gewichtige Rolle: wäre der Griff zur Flasche nicht vielleicht sowieso auch ohne Cannabiskonsum passiert?

Da man bei einer zeitlichen Abfolge immer nur auf die Möglichkeit, nicht aber die Tatsache eines kausalen Zusammenhangs schließen kann, sind konkrete Aussagen schwierig und es wird auf Theorien zurück gegriffen. In diesem Fall die Theorie der “biologischen Prägung”. Außerdem gibt es weitere Theorien wie die “drogenübergreifende Motivationslage des Konsumenten”

biologische Prägung als Auslöser

Der geneigte Leser weiß, dass Drogen sich auch immer auf das Belohnungssystem des Menschen auswirken. In Tierversuchen wurde herausgefunden, dass Mäuse bei Nikotin- oder Cannabiskonsum einen erhöhte Wahrscheinlichkeit für Kokainkonsum aufweisen.

persönliche und soziale Trigger

Nach dem Konzept einer drogenübergreifenden Motivationslage des Konsumenten (common liability) gebe es mehrere persönliche und umweltbedingte Faktoren, die ein mögliches Interesse an Drogen in gleicher Weise für mehrere verschiedene Drogen beeinflussen könnten.

Wie bereits erwähnt spielen beim Drogenkonsum sehr viele verschiedene Faktoren eine Rolle, darunter eben auch die persönliche Motivationslage. Und die ist bekanntlich bei jedem Menschen eine andere bzw. ändert sich quasi permanent. Das bringt demnach eben auch eine große statistische Unsicherheit in diese Theorie.

Eine kleine Hochrechnung

Um den scheinbar statistisch fundierten Meinungen, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei etwas entgegen zu setzen, sollte man einfach mal eine kleine Hochrechnung anstellen: Wenn Marihuana tatsächlich diesen (scheinbar wissenschaftlich bewiesenen) Effekt hätte, dann müssten weltweit viel mehr Menschen von Kokain, Heroin und anderen Amphetaminen und Opiaten abhängig sein, die als verbotene Drogen gelistet sind. Dann wären alleine in Deutschland viele Millionen Bundesbürger heroin- oder kokainabhängig, denn mehr als jeder vierte hat schon einmal in seinem Leben gekifft.

Weniger als 1% hat im Anschluss zu härteren Drogen gegriffen und ein Großteil hat nach dem Erstkonsum direkt wieder mit dem Kiffen aufgehört.

Würde man die Tatsache, dass die meisten Opiatabhängigen mit Cannabis angefangen haben, als Argument für die Einstiegsdroge Cannabis anführen, könne man nach Ansicht der Drogenforscher Dieter Kleiber und Karl-Arthur Kovar ebenso gut behaupten, „dass eine Erkältung zwangsläufig zu einer Lungenentzündung führt, weil so gut wie jeder Lungenentzündung eine Erkältung vorausgeht.“ Beide Autoren haben 1998 im Rahmen einer umfangreichen Expertise die Risiken des Cannabiskonsums beleuchtet und stellten zu der Frage der „Einstiegsdroge“ fest, dass die These von der „Schrittmacherfunktion“ nach damaligem wissenschaftlichem Kenntnisstand nicht haltbar sei. (Quelle: https://www.drugcom.de/?id=topthema&sub=129)

Es ist darüber hinaus übrigens wissenschaftlich ebenfalls erwiesen, dass dem Cannabiskonsum fast immer Tabak- und Alkoholkonsum voraus ging, beide sind aber in Deutschland alles andere als illegal.

Das Alter spielt ein Rolle

Ob Cannabis als “Gateway” funktioniert oder nicht ist auch stark abhängig vom Alter beim Erstkonsum. So haben niederländische Wissenschaftler bereits 2006 in einer Zwillingsstudie herausgefunden, dass Erstkonsumenten vor dem 18. Lebensjahr später eine über 7mal so hohe Wahrscheinlichkeit für das Ausprobieren und den Konsum von härteren (Party)drogen haben. Je früher der Einstieg in den Cannabiskonsum, desto höher das Risiko für weitere Drogen.

Fakt ist: früher Cannabiskonsum verändert das Gehirn und wirkt sich auf die Entwicklung des Belohnungszentrums aus. In Tierversuchen an Jungratten konnte nachgewiesen werden, dass sich die Konzentration an Opioidrezeptoren dadurch deutlich erhöht, was sie später anfälliger für andere Drogen wie z.B. Heroin macht. Eine Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf Menschen ist fraglich aber möglich, wenn auch wissenschaftlich nicht fundiert.

Längsschnittstudien

Die wissenschaftlich anerkannte Methode zur Analyse von Hypothesen in langen zeitlichen Abfolgen ist die sogenannte Längsschnittstudie. Die US-Wissenschaftler Karen van Gundy und Cesar Rebellon haben in einer solchen Studie über 1.200 Schüler im Zeitraum von mehreren Jahren immer wieder befragt. Das Resultat: jugendliche Kiffer tendieren tatsächlich dazu im späteren Leben mindestens einmal weitere Drogen zu probieren. Die Studie zeigt aber auch ganz deutlich: ab dem Alter von 21 Jahren ist keine Kausalität mehr messbar.

Einflussfaktor Image

Jede Art von Droge hat ein gewisses Image: manche sind hip und angesagt, manche verpönt und mit negativen Images behaftet. Dazu kommt, dass Musik, Mode und Idole gerade für Jugendliche eine sehr große Rolle im Leben einnehmen. Es gibt beispielsweise Musikgenres, zu denen Cannabis einfach dazu gehört. Heißt im Umkehrschluss auch: wenn ein Jugendlicher einem Genre zugehörig sein möchte, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch die dazu passende Droge irgendwann ausprobiert wird. Reggae und HipHop sind beispielsweise bekannt dafür, Cannabis zu verherrlichen. Die Stars werden mit entsprechenden Rauchutensilien abgelichtet und sehr oft handeln auch Songtexte von Marihuana & Dope. Andere Genres wie GOA tendieren dazu eher mit LSD und Psylocibin zu liebäugeln und MDMA wird meist mit Techno in Verbindung gebracht. Die eigene Zugehörigkeit im Bezug auf Musik und Mode kann also ebenfalls dazu beitragen Cannabis und weitere Drogen zu konsumieren.

weltweite Diskrepanzen

Leider werden die o.g. Studien in der Regel in sehr kleinen Testgruppen gemacht, die oft auch lokal sehr nah beieinander liegen. Im weltweiten Vergleich kann die Situation gänzlich anders aussehen: Studien in Japan und Nigeria haben völlig abweichende Studienergebnisse zu Tage gefördert. So konnte die Gateway-Hypothese in vielen westlichen Industrienationen mehr oder weniger bestätigt werden, in anderen (Schwellen- oder Drittwelt)ländern jedoch nicht.

Fazit zur Gateway-Hypothese

Die Ursachenketten für Drogenkonsum und dessen zeitliche Entwicklung im Lebenszyklus eines Menschen sind überaus komplex und können nicht auf eine spezielle Substanz wie z.B. Cannabis reduziert und zusammengefasst werden. Kulturelle Hintergründe, persönliche und vor allem psychische Situation, persönliches Umfeld und jede Menge andere Faktoren und Motive müssen berücksichtigt werden und lassen eben aber auch den Schluss zu, dass Cannabis alleine nicht als Einstiegsdroge verteufelt werden darf. Die Gateway-Hypothese trifft vor allem auf jüngere Konsumenten zu, die in der Regel in westlichen Industrienationen ansässig sind. Nach dem Erreichen des Alters von 21 Jahren kann die Gateway-Hypothese nicht mehr statistisch belegt werden. Ein universeller Anspruch, dass Kiffen bzw. Cannabiskonsum den Einstieg in härtere Drogen erleichtert oder fördert, ist damit widerlegt.

Wer jetzt immer noch Lust hat sich zu diesem Thema weiter zu bilden, dem seien diese Dokumente ans Herz gelegt:

Adolescent Cannabis Exposure Alters Opiate Intake and Opioid Limbic Neuronal Populations in Adult Rats: jetzt nachlesen

Evaluating the drug use “gateway” theory using cross-national data: Consistency and associations of the order of initiation of drug use among participants in the WHO World Mental Health Surveys: jetzt nachlesen

Early Onset Cannabis Use and Progression to other Drug Use in a Sample of Dutch Twins: jetzt nachlesen

Predictors of Marijuana Use in Adolescents Before and After Licit Drug Use: Examination of the Gateway Hypothesis: jetzt nachlesen

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